Amnesty Report Nepal 20. Mai 2017

Nepal 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Zehntausenden Menschen, die von dem Erdbeben 2015 betroffen waren, wurden auch weiterhin das Recht auf angemessenen Wohnraum und andere Menschenrechte verwehrt. Marginalisierte Gruppen äußerten ihre Unzufriedenheit über Verfassungsänderungen, da Bedenken hinsichtlich diskriminierender Bestimmungen unberücksichtigt blieben. Die Anwendung von Folter und unnötiger oder exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende in der Terai-Region wurde nicht wirksam untersucht. Bei der strafrechtlichen Verfolgung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, die während des bewaffneten Konflikts begangen wurden, waren nur geringe Fortschritte zu verzeichnen. Trotz einer neuen Maßnahme der Regierung zur Regulierung des Sektors wurden Arbeitsmigranten nach wie vor von Arbeitsvermittlern und Arbeitsagenturen ausgebeutet. Diskriminierung, u. a. aufgrund von Geschlecht, Kaste, Gesellschaftsschicht, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und Religion, war nach wie vor weit verbreitet. Es wurden keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt ergriffen.

RECHT AUF WOHNEN

Zehntausende Menschen, die von dem Erdbeben im April 2015 betroffen waren, lebten auch weiterhin in Notunterkünften. Nachdem die Nationale Behörde für den Wiederaufbau im Januar 2016 ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurde im April offiziell mit dem Wiederaufbau begonnen. Bis Dezember 2016 waren für elf der 14 am stärksten betroffenen Distrikte detaillierte Schadensberichte erstellt worden. Die Verteilung staatlicher Gelder für den Wiederaufbau von Häusern verzögerte sich, und die Betroffenen machten sich auf eine weitere kalte Jahreszeit ohne angemessene Unterkunft und andere grundlegende Versorgungsleistungen gefasst. Im September 2016 kündigte Regierungschef Pushpa Kamal Dahal eine Erhöhung der Hilfsleistungen von 20000 auf 30000 Nepalesische Rupien (rund von 1650 auf 2470 Euro) pro zerstörtes Haus an, die Ende Dezember vom Kabinett genehmigt wurde.

Im Juli 2016 äußerte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Besorgnis angesichts der Folgen des Erdbebens für die Rechte der Kinder sowie der Anzahl von Kindern, die in Lagern für Binnenvertriebene oder in informellen Siedlungen ohne angemessenen Zugang zu Nahrung, sauberem Trinkwasser, Sanitäranlagen, medizinischer Versorgung oder Bildung lebten.

EXZESSIVE GEWALTANWENDUNG

Die Anwendung von Folter und unnötiger oder exzessiver Gewalt gegen Protestierende in der Terai-Region wurde nicht wirksam untersucht. Angehörige der Madhesi und anderer marginalisierter Gruppen im Terai setzten ihre Proteste gegen die Verfassung von 2015 und die im Januar 2016 verabschiedeten Änderungen an dieser fort. Sie prangerten an, dass die Verfassung sie diskriminiere und ihnen die Möglichkeit einer fairen politischen Mitwirkung verwehre. Protestierende blockierten Grenzübergänge zu Indien, was zu gravierenden Engpässen bei der Versorgung mit Treibstoff, Lebensmitteln, Arzneimitteln und Baumaterialien führte.

Im August 2016 wurde eine offizielle Kommission einberufen, um Fälle exzessiver Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und weitere Vorfälle bei den Protesten im Terai zu untersuchen, bei denen 27 Männer, vier Frauen und sechs Kinder ums Leben gekommen waren. Bei den Untersuchungen wurden jedoch kaum Fortschritte verzeichnet.

RECHTE VON ARBEITSMIGRANTEN

Die Tätigkeiten von Arbeitsvermittlungen wurden auch 2016 kaum reguliert, und Verstöße gegen die Rechte von Migranten blieben weitverbreitet. Im Ausland arbeitende Nepalesen mussten hohe Vermittlungsgebühren zahlen und waren Schuldknechtschaft, Vermittlung zum Zweck der Ausbeutung und Zwangsarbeit ausgesetzt. In den Zielländern wurde die Ausbeutung von Arbeitsmigranten zum einem durch restriktive gesetzliche Vorschriften zur Arbeitsmigration und zum anderen durch die mangelnde Umsetzung von Gesetzen begünstigt. Nur selten kam es bei Verletzungen der Rechte von Migranten zu Ermittlungen oder strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen lokale Arbeitsvermittler und private Agenturen.

Gesetze und Maßnahmen zur Arbeitsmigration waren unwirksam, und es gab nur geringe Verbesserungen hinsichtlich der Schutzmechanismen für Arbeitsmigranten. Das staatliche System zur kostenlosen Arbeitsvermittlung versagte weitgehend, weil es unzureichend umgesetzt und kontrolliert wurde.

Aufgrund der geltenden Altersbeschränkungen für Arbeitsmigrantinnen griffen Frauen häufig auf informelle Wege zurück, um im Ausland Arbeit zu finden. Dadurch erhöhte sich für sie das Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Nach wie vor waren Folter und andere Misshandlungen durch die Polizei – vor allem während der Untersuchungshaft – weit verbreitet. Dadurch wurden "Geständnisse" erzwungen und Gefangene eingeschüchtert.

Ein Entwurf für ein Gesetz gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, der dem Parlament im September 2016 vorgelegt worden war, wurde bis Jahresende nicht verabschiedet. Das vorgeschlagene Gesetz entsprach nicht internationalen Menschenrechtsstandards, da es u. a. eine zu enge Definition von Folter enthielt und eine 90-Tage-Frist für die Erstattung von Anzeigen wegen solcher Straftaten vorsah.

Im Februar 2015 wurde Kumar Lama, ein Oberst der nepalesischen Armee, nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit vor ein britisches Gericht gestellt. Er war in zwei Fällen wegen in Nepal begangener Folter angeklagt worden. Im August 2016 wurde er von einem der Vorwürfe freigesprochen und im September freigelassen. Die Strafverfolgungsbehörden waren zu der Entscheidung gekommen, im zweiten Fall kein Wiederaufnahmeverfahren anzustrengen, da die Geschworenen sich nicht auf ein Urteil hatten einigen können.

STRAFLOSIGKEIT

Im Mai 2016 vereinbarten die regierende Kommunistische Partei der Vereinigten Marxisten und Leninisten (Communist Party of Nepal-Unified Marxist and Leninist – CPN-UML) und die Vereinigte Kommunistische Partei Nepals-Maoisten (Unified Party of Nepal-Maoist – UCPN-M) eine Amnestie für Verantwortliche von Menschenrechtsverletzungen während des Konflikts. Im Juli einigten sich die UCPN-M und die Nepalesische Kongresspartei (Nepali Congress) auf die Bildung einer Regierungskoalition. Dabei kamen sie überein, dass das vorrangige Ziel der Kommission für Wahrheit und Versöhnung und der Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindenlassens Versöhnung und Wiedergutmachung und nicht die Strafverfolgung von vergangenen Menschenrechtsverletzungen sein sollte.

Das Gesetz zur Einsetzung einer Kommission für Wahrheit und Versöhnung von 2014 enthielt nach wie vor Bestimmungen, die Amnestien für schwere Verbrechen nach dem Völkerrecht zuließen, obwohl der Oberste Gerichtshof von Nepal diese Bestimmungen 2015 für rechtswidrig erklärt hatte. Die Regierung nahm keine Veränderungen des Gesetzes vor. Die Kommission für Wahrheit und Versöhnung und die Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindenlassens begannen Mitte April 2016, 14 Monate nach ihrer Einrichtung, mit der Erfassung erster Klagen. Vertreter beider Kommissionen äußerten sich besorgt angesichts von Verzögerungen und mangelnder Kooperationsbereitschaft seitens der Regierung sowie wegen mangelnder Ressourcen und unrealistisch kurzer Fristen für die Einreichung von Klagen.

RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG

Im April 2016 bestellte das Büro des damaligen Regierungschefs Sharma Oli Angehörige der Nationalen Menschenrechtskommission ein, um sie zu einer Aussage zu befragen, die sie während der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung Nepals durch die Vereinten Nationen gemacht hatten.

Im April 2016 wurde der Journalist und Aktivist Kanak Dixit von der Untersuchungskommission für Amts- und Autoritätsmissbrauch wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen. Zehn Tage nach seiner Festnahme verurteilte der Oberste Gerichtshof seine Inhaftierung als unrechtmäßig und ordnete seine Freilassung an. Kanak Dixit sah in seiner Festnahme einen Versuch, ihn wegen seiner kritischen Äußerungen zum Schweigen zu bringen. Im Mai wurde Robert Penner, ein in Nepal lebender kanadischer Staatsbürger, festgenommen und wegen Anstiftung zu "sozialem Unfrieden" über soziale Medien abgeschoben. 2016 sahen sich der madhesische Aktivist Chandra Kant Raut und einige seiner Unterstützer mit mehreren Anklagen wegen Aufhetzung konfrontiert, weil sie ihre politische Meinung friedlich zum Ausdruck gebracht hatten.

DISKRIMINIERUNG

Es kam weiterhin zu Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Kaste, Gesellschaftsschicht, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und Religion. Verfassungsänderungen sahen für Frauen keine gleichen Rechte in Bezug auf den Erhalt der nepalesischen Staatsbürgerschaft vor und umfassten zudem keine Maßnahmen zum Schutz von marginalisierten Gemeinschaften wie Dalits, Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen.

Die im Gesetz gegen Vergewaltigung vorgeschriebene Frist zur Anzeige von derartigen Straftaten wurde nicht, wie es internationale Menschenrechtsstandards vorsehen, ganz abgeschafft, sondern von 35 auf 180 Tage erhöht. Geschlechtsspezifische Diskriminierung sorgte auch weiterhin für eine Einschränkung der Rechte von Frauen und Mädchen auf eine selbstbestimmte Sexualität und das Treffen informierter Entscheidungen bezüglich der Verwendung von Verhütungsmitteln. Darüber hinaus erschwerte die Diskriminierung es ihnen, sich gegen Früh- oder Zwangsverheiratung zu wehren und eine angemessene prä- und postnatale Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen. Frauen blieben häuslicher Gewalt ausgesetzt, darunter auch Vergewaltigung in der Ehe. Frauen aus marginalisierten Gruppen, darunter Dalits und indigene Frauen, waren besonders häufig von Mehrfachdiskriminierung betroffen.

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