Blog Vereinigte Staaten von Amerika 29. Januar 2015

Elf Gründe gegen Guantánamo

Ein Gefangener wird in das "Camp Delta" in Guantánamo gebracht.

Am 11. Januar war es genau 13 Jahre her, dass das US-Gefangenenlager Guantánamo in Betrieb genommen wurde. Präsident Obama hat jetzt die Gelegenheit, diesen Jahrestag zum letzten von Guantánamo zu machen. Wir nennen elf Gründe, warum die Schließung von Guantánamo ein Menschenrechtsgebot ist:

1. Die Inhaftierten wissen nicht, wann und ob sie überhaupt jemals frei kommen

 

Protestaktion zur Schließung Guantánamos in Brüssel

 



Stell dir vor, du bist in einem Gefängnis. Und jetzt stell dir vor, du hast keine Ahnung, ob du jemals für ein Verbrechen verurteilt oder freigelassen wirst. Für mehr als einhundert Männer in Guantánamo ist diese unbegrenzte Inhaftierung grausame Realität. Sie wissen nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Ihr Leben ist auf Eis gelegt.



2. Die Zeit ist reif

 

Amnesty-Aktion in Washington D.C. zum 10-jährigen Bestehen Guantánamos

 



Vor sechs Jahren ordnete Obama an, Guantánamo innerhalb eines Jahres zu schließen. Angesichts seines Versagens haben wir den Druck durch weltweite Proteste aufrechterhalten. Und wir sehen erste Fortschritte: In den letzten anderthalb Jahren hat die Regierung 39 Gefangene aus Guantánamo in andere Länder gebracht. Verglichen damit wurden zwischen Juli 2011 und Juli 2013 lediglich vier Gefangene aus Guantánamo verlegt.



3. Zu viele Männer befinden sich ohne Anklage in Haft

 

 

 

Ein Wärter in "Camp Five", Guantánamo

 



Aber Präsident Obama muss weit mehr tun. Mehr als einhundert Gefangene sind immer noch ohne Anklage oder Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit in Haft. Jeder Gefangene muss entweder in einem fairen Verfahren vor Gericht gestellt oder freigelassen werden.



4. Folter und andere unmenschliche Behandlung

 

 

 

Gefangene im Camp "X-Ray"

 



2002 kamen die ersten Gefangenen nach Guantánamo: gefesselt, mit einem Sack über dem Kopf und verbundenen Augen. Laut einem Bericht des US-Senats wurde das Gefängnis als "Kampflabor" für experimentelle und unerprobte Verhörtechniken angesehen. Seither werden dort Menschenrechtsverletzungen wie zum Beispiel verlängerte Isolationshaft begangen.



Mindestens 28 der immer noch in Guantánamo inhaftierten Personen wurden zunächst an anderen Orten unter US-Kontrolle heimlich festgehalten, bevor sie nach Guantánamo gebracht wurden. "Sie gaben in Kandahar eine "Abschiedsparty" für mich und eine noch schlimmere "Willkommensparty" in Guantánamo", sagte Shaker Aamer, der zuerst 2002 in Afghanistan festgenommen wurde und nach 13 Jahren immer noch in Guantánamo festgehalten wird, obwohl seine Verlegung von der Bush- und der Obama-Regierung bewilligt wurde.



5. Pure Verzweiflung: "Der Tod ist wünschenswerter als das Leben"

 

 

Adnan Latif starb 2012 in Guantánamo, nachdem er zehn Jahre lang ohne Anklage festgehalten wurde – trotz einer richterlichen Anordnung seiner Freilassung. Seine Lebensumstände "machten den Tod wünschenswerter als das Leben", wie er sagte. Latif protestierte gegen seine Behandlung mit einem Hungerstreik und seinen Gedichten:



"Wo ist die Welt, um uns vor Folter zu retten?



Wo ist die Welt, um uns vor dem Feuer und der Traurigkeit zu retten?



Wo ist die Welt, um die Hungerstreikenden zu retten?"



Neun Männer sind in Guantánamo gestorben, seitdem das Gefängnis im Januar 2002 den Betrieb aufnahm. Laut US-Militärbehörden waren sechs der acht Todesfälle auf Selbstmorde zurückzuführen, zwei Personen starben eines natürlichen Todes.



6. Scheinheiligkeit und Doppelmoral

 

Soldaten im "Camp Delta" in Guantánamo

 



Guantánamos offizielles Motto "In Ehre verpflichtet, die Freiheit zu verteidigen" hat Orwell'sche Untertöne. Die Doppelmoral geht jedoch viel weiter. In jedem Jahr, in dem Guantánamo weiter besteht, verkünden die USA, sich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen. Wenn ein autoritäres Regime für einen Ort wie Guantánamo verantwortlich wäre, würde es mit Sicherheit von den USA verteufelt werden. Die US-Regierung muss endlich ihre Scheinheiligkeit und Doppelmoral ablegen.



7. NEIN zur "Politik der Angst"

 

 

 

Neue Gefangene im Camp X-Ray 2002

 



Kongressabgeordnete, Experten, Berichterstatter: Sie alle nutzen Guantánamo als politischen Spielball, um die Politik der Angst weiterzuführen, während sie die Lebensumstände der Gefangenen, die im Gefängnis dahinsiechen, ignorieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommen, wird dadurch immer geringer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zukünftiger Präsident entscheidet, die Einrichtung auf unbestimmte Zeit weiter in Betrieb zu halten, wird dagegen immer realer.



8. NEIN zu einem "globalen Krieg"

 

 

 

Camp x-Ray 2002

 

Um die rechtswidrigen Inhaftierungen auf Guantánamo zu rechtfertigen, haben die USA die Vorstellung eines "globalen Krieges" gegen al-Qa’ida und andere bewaffnete Gruppen heraufbeschworen.



Die Guantánamo-Häftlinge sind aufgrund des "Kriegsvölkerrechts" in Verwahrung. Allerdings wurden viele von ihnen fernab von jedem Schlachtfeld im herkömmlichen Sinne und fernab des Territoriums der Staaten, die mit den USA im Krieg stehen, festgenommen – so z.B. in Thailand oder in Aserbaidschan.



Die Theorie des "globalen Krieges" verleugnet die Menschenrechte, einschließlich der Forderung nach einer Freilassung oder einem fairen Gerichtsverfahren vor einem US-Gericht für jeden Häftling.



9. Guantánamo: Teil eines Systems von Menschenrechtsverletzungen

 

Amnesty-Aktivist_innen setzen sich in den USA für eine Schließung Guantánamos ein

 



Die Vereinigten Staaten befinden sich "an einem Scheideweg", wie es Präsident Obama am 23. Mai 2013 ausdrückte. Dieser erfordere es, "das Wesen und die Reichweite dieses Kampfes zu definieren, bevor er uns definiert." Bislang hat der "globale Krieg" aber genau dies getan. Guantánamo, völkerrechtswwidrige Drohneneinsätze, Massenüberwachung – all dies ist Teil eines Systems von Menschenrechtsverletzungen, welches durch Geheimhaltung und Straflosigkeit aufrechterhalten wird.



10. Guantánamo hat Konsequenzen für die Menschenrechte weltweit

 

 

 

Gefängniswärter im Camp X-Ray

 

Warum muss das seit 4.768 Tagen bestehende berühmt-berüchtigte Gefangenenlager immer noch von Amnesty International thematisiert werden? Wie die Organisation bereits am zehnten Jahrestag von Guantánamo sagte, ist das Gefangenenlager "ein Symbol für verantwortungslose Staaten auf der ganzen Welt, dass sie grundlegende Menschenrechte getrost missachten können (…) Und jeder einzelne von uns ist ein kleines bisschen weniger sicher, solange Guantánamo bestehen bleibt."



11. Folter? Welche Folter?

In seiner Biografie "Decision Points" schreibt Präsident Bush, dass er spätestens bei seiner zweiten Amtseinführung im Januar 2005 eingesehen hatte, dass Guantánamo zu einem "Propaganda-Werkzeug für unsere Feinde und einer Irritation für unsere Verbündeten" geworden war.



Seitdem Obama in das "Oval Office" einzog und insbesondere seit der Veröffentlichung des Folterberichts des Senats wurden die Verteidiger der Missbräuche in die Defensive gedrängt. In seinen 2014 veröffentlichten Memoiren hat der ehemalige Vize-Präsident Dick Cheney geschrieben: "Nicht Guantánamo richtet Schaden an, sondern die Kritiker der Einrichtung." Er fügt hinzu, dass er "froh ist, dass sich für Präsident Obama die 'absolute Notwendigkeit', Guantánamo zu schließen, in die Notwendigkeit gewandelt hat, es weiter bestehen zu lassen."



Präsident Obamas Zögern, Guantánamo zu schließen, hat diejenigen befeuert, die die schlimmsten Internierungsverfahren des "Kampfes gegen den Terror" wieder aufgreifen wollen. Es könnte zukünftigen Regierungen sogar als Rechtfertigung dafür dienen, um nicht nur Guantánamo bestehen zu lassen, sondern auch andere Menschenrechtsverletzungen aus angeblicher "Notwendigkeit" heraus zu legitimieren.



Von Naureen Shah, Amnesty International USA

Der Blogbeitrag ist zuerst auf dem "Human Rights Now Blog" von Amnesty International USA erschienen

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