Blog Iran 17. Februar 2012

"Ich habe ein Geheimnis"

Dieser Stuhl blieb leer: Eigentlich sollte der iranische Regisseur Jafar Panahi als Jurymitglied an der Berlinale 2011 teilnehmen. Doch wegen seines geplanten Films über die Oppositionsbewegung verurteilte ihn ein Gericht im Iran zu sechs Jahren Haft und einem Berufsverbot für die nächsten 20 Jahre. Setzten Sie sich jetzt für Jafar Panahi ein und fordern Sie ein Ende der Zensur im Iran!

In seinem poetischen Beitrag beschreibt der iranische Regisseur und Amnesty-Juror, was ihm die Menschenrechte bedeuten.

Der iranische Theater- und Filmregisseur Ayat Najafi ist Mitglied der Amnesty-Jury auf der diesjährigen Berlinale. Er wurde 1976 in Teheran geboren und studierte Scenography. Mit 19 Jahren gründete er eine Jugendtheatergruppe an seiner Universität und wirkte bei zahlreichen Theaterproduktionen mit. Heute arbeitet Najafi als Theater- und Filmregisseur. "Football under Cover", sein erster langer Dokumentarfilm, feierte seine Premiere bei der Berlinale 2008 und wurde mit dem Berlinale Teddy Award für den besten Dokumentarfilm und den Prix Europe IRIS für die beste multikulturelle TV-Produktion ausgezeichnet. Zurzeit lebt Najafi in Berlin und Teheran.

 

Ich habe ein Geheimnis: Ich glaube nicht an Menschenrechte! Ich liebe nur Filme. Ich liebe es, in einem dunklen Raum zu sitzen, mich schon in den silbernen Vorhängen vor der Leinwand gedanklich zu verlieren und dann in eine Geschichte einzutauchen und mich ihr ganz hinzugeben.

Manchmal lässt einem eine solche Geschichte keine andere Wahl, als über sich selbst als menschliches Wesen nachzudenken, als jemand, der existiert, der glücklich sein und seine Träume verwirklichen möchte. Als jemand, der das Recht besitzt, so zu sein, wie er ist.

Die großen Filmfestivals sind wie Non-Stop-Flüge zwischen vielen verschiedenen Städten. Aber diese Flüge wollen uns nicht zu den Flughäfen bringen mit ihren Duty-Free-Shops und Gastronomiebereichen; sie bringen uns in das alltägliche Leben fremder Menschen und unterschiedlicher Kulturen.

Während du dich von einem Kinosaal zum nächsten begibst, spürst du nicht, wie draußen der Schnee fällt. Du genießt noch immer die Sonnenstrahlen aus einer Stadt am anderen Ende der Welt, die du gerade im Film erlebt hast. Und dann, im nächsten Kinosaal, befindest du dich plötzlich inmitten eines Konflikts, im Herzen einer Krise, und erlebst offensichtliche Menschenrechtverletzungen. Du wirst wütend und verurteilst ohne zu zögern die Ungerechtigkeit der Systeme dieser Welt.

In der Zwischenzeit wurde dir von Amnesty ein Job angeboten, der von dir fordert, eine andere Art von Urteil zu fällen: einen Film mit einem Menschenrechtspreis auszuzeichnen. Aber wie? Gibt es einen Maßstab für Menschenrechte?

Für mich sind Menschenrechte weder eine Ideologie noch eine bestimmte Art zu denken.  Ebenso wenig sind sie ein Ziel oder ein Weg. Sie sind etwas Unsichtbares in uns allen, das um unsere Gedanken kreist und unsere Herzen berührt. Das ist der Grund, weshalb ich nicht an Menschenrechte glauben muss – ich kann sie fühlen. Ich atme sie ein, und in dem Moment, in dem ich ausatme, kehre ich wieder dahin zurück, wo alles begann: ein Kino, ein Vorhang und eine Geschichte.

Die Amnesty-Jury auf der Berlinale 2012: Regisseur Ayat Najafi (links), Schauspielerin Birgit Minichmayr und Markus Beeko von Amnesty International.

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