Amnesty Journal 09. November 2017

"Die Schüler werden aufgerüttelt"

Zwei Jugendliche schneiden im Klassenraum an einem Tisch einen Pappkarton mit einem Cutter zurecht

Amnesty-Workshop an der Integrierten Gesamtschule Winsen-Roydorf im Juni 2017

Der Amnesty-Briefmarathon an Schulen bietet die Chance, auf Menschenrechtsverletzungen weltweit aufmerksam zu machen – im Unterricht und darüber hinaus. Ein Interview mit der ­Lehrerin Jehan Abushihab, die am Düsseldorfer Leo-Statz-Berufskolleg die Fächer Politik, Wirtschaftswissenschaften und Personalwirtschaft unterrichtet. ­Jedes Jahr beteiligen sich an ihrer Schule mehr als 500 Schülerinnen und Schüler am ­Amnesty-Briefmarathon. 

Das Thema Menschenrechte ist unglaublich abstrakt. Wie lässt es sich im Unterricht veranschaulichen?

Meist versuche ich das am Beispiel der Regeln im Klassenverband. Diese Regeln sind wichtig, um uns gegenseitig zu schützen und das Lernklima zu erhalten. Ausgehend von dieser konkreten Situation ziehe ich Analogien zum Geschehen in der Welt – auf Rechte, die über die Klasse und Schule hinausgehen. Schließlich haben die meisten Menschenrechtsverletzungen nicht erfahren. Aber sie kennen das Gefühl, gestört zu werden bei dem, was für sie wichtig ist. Dadurch gelingt der Transfer sehr gut.

Wie lässt sich dieser Transfer unterstützen?

Viele Schülerinnen und Schüler sind von Nachrichten ge­sättigt, und es ist mitunter schwierig, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Allerdings ändert sich das schlagartig, wenn es um einzelne konkrete Fälle geht, um Personen mit individuellen ­Lebensgeschichten. Diese Einzelfälle, wie etwa der des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi, der zu Stockhieben verurteilt wurde, sind viel greifbarer als abstrakte Themen wie Meinungsfreiheit oder Demonstrationsrecht. Die Schüler rüttelt das sehr auf.

Der Fall von Raif Badawi war auch Teil des Amnesty-Brief­marathons. 

Für mich als Lehrerin ist der Briefmarathon eine riesige Chance, um zu zeigen, welche Menschenrechtsverletzungen auf der Welt passieren: Viele der Fälle lassen sich – ähnlich wie 

die tagespolitische Agenda – in den Unterricht integrieren, und Amnesty liefert dazu viele passende Unterrichtsmaterialien. Ich lasse im Unterricht zunächst Raum, um Empfindungen auszudrücken und Position zu beziehen. Der Briefmarathon bietet dann die Option, aktiv zu werden – durch Protestbriefe an die Verantwortlichen. Neben der Wissensebene kommt damit auch eine Bewusstseins- und Handlungsebene ins Spiel, die für Menschenrechtsbildung konzeptuell von elementarer ­Bedeutung ist.

Sie sind Politiklehrerin. In welchen anderen Fächern könnten Menschenrechte ein Thema sein?

Die Themen Datenschutz und Recht auf Privatsphäre ­könnten sich gut für den EDV-Unterricht eignen. Die Frage, was es bedeutet, wenn der Staat tötet, bietet sich im Philosophieunterricht oder auch in den Fächern Religion und Geschichte an. ­Anknüpfungspunkte gibt es viele bis hin zum Fach Personalwirtschaft, in dem es möglich ist, sich mit dem Recht auf Arbeit zu beschäftigen.

Warum ist Menschenrechtsbildung an Schulen wichtig?

Jeder ist verpflichtet, die Würde und die Rechte anderer Personen zu achten. Gleichzeitig sollte er oder sie die eigenen Rechte auch wahrnehmen – und zwar ohne die Rechte anderer zu beschneiden. Das gilt für das Schulleben wie für den gesellschaftlichen Alltag. Heranwachsende dahingehend zu sensibilisieren, ist wichtig, damit sie sich am politischen Geschehen adäquat beteiligen können.

Interview: Andreas Koob

Weitere Informationen zum Briefmarathon an Schulen unter www.amnesty.de/briefmarathon-schule

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