Eine junge Frau mit lockigem schulterlangem Haar trägt einen karierten Blazer mit aufgekrempelten Armen, sitzt und hält den linken Arm vor ihrem Gesicht abgesützt; an diesem Arm trägt sie eine Uhr.

Sie spielte in der deutschen Bundesliga und gründete nach ihrer Karriere die Menschenrechtsorganisation Háwar.help und das Mädchen-Empowerment-Projekt Scoring Girls*. Tuğba Tekkal über Rassismus und Sexismus auf dem Fußballplatz und die WM in Katar.

Interview: Patrick Loewenstein

Sie haben die Vergabe der Fußball-WM an Katar kritisiert. Warum?

Es war eine falsche Entscheidung, die WM nach Katar zu vergeben. Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, wieso finanzielle Aspekte in diesem Verfahren mehr wiegen als Menschenrechte. Weil das Land in hohem Maße vom Turnier profitiert und durch den Imagegewinn gestärkt wird, kann die außenpolitische Dimension dieser WM nicht ignoriert werden. Die Menschenrechtsverletzungen, der Umgang mit Gastarbeiter*innen und Minderheiten sind Probleme, die wir klar ansprechen müssen.

Trotz aller Kritik wird die WM stattfinden.

Wir müssen die Aufmerksamkeit nutzen, um die Missstände publik zu machen und auf eine Veränderung hinzuwirken. Es braucht eine nachhaltige Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in Katar. Eine Bilanz, ob und inwieweit sich die Verhältnisse nach dem Turnier geändert haben, werden wir erst im Rückblick ziehen können. Dass die WM einen Wandel herbeiführen kann, glaube ich momentan allerdings nicht.

Wie bewerten Sie den Umgang des DFB und der FIFA mit dem Turnier?

Sowohl die FIFA als auch der DFB haben auf den Wert von Menschenrechten, aber auch auf das Entwicklungspotenzial durch den Fußball hingewiesen. Das klare Bekenntnis zu Menschenrechten muss aber schon im Vergabeverfahren deutlich werden. Ich hoffe, dass seitens dieser Verbände der Druck zur Aufklärung und zur Verbesserung von Missständen deutlich erhöht wird.

Das klare Bekenntnis zu Menschenrechten muss schon im Vergabeverfahren deutlich werden.

Auch viele Profisportler*innen haben sich zur WM in Katar geäußert.

Ich würde mir wünschen, dass noch deutlich mehr Sportler und Sportlerinnen Stellung beziehen. Natürlich können die Spieler*innen nichts für die WM-Vergabe, aber sie sind wichtige Vorbilder und werden als Nationalheld*innen gefeiert. Mit dieser Strahlkraft geht auch Verantwortung einher. Ich hoffe, dass sich die

Teams dieser Verantwortung bewusst sind und diese WM nutzen werden, um die Aufmerksamkeit auf das Thema Menschenrechte zu lenken.

Schauen Sie sich die WM trotz all der Missstände im Fernsehen an?

Auch wenn mein Fußballherz blutet, ich werde mir diese WM wohl nicht anschauen. Denn auch wenn es mich traurig macht, würde ich mir dabei selbst nicht treu bleiben. Das gleiche gilt für meinen Freundeskreis.

Sie haben schon häufiger auf Rassismus im Fußball hingewiesen. Haben Sie selbst auch Rassismus im Fußball erlebt?

In meiner Fußballkarriere bin ich dem Thema öfter begegnet, beispielsweise habe ich rassistische Sprüche von der Tribüne gehört oder wurde mit bestimmten Zuschreibungen konfrontiert. Ich habe kurdisch-jesidische Wurzeln, war aber oft nur "die Türkin". Die meisten rassistischen Anfeindungen habe ich allerdings abseits des Fußballfelds erlebt.

Auch Sexismus und Homophobie sind im Fußball verbreitet.

Die Benachteiligung von Frauen im Fußball fängt bei der Bezahlung an: Während meiner Fußballkarriere habe ich zwar gespielt wie ein Profi, aber verdient wie eine Amateurin und musste mich mit Nebenjobs über Wasser halten. Außerdem geht es häufig nicht um Fußball, sondern nur um das Aussehen von Frauen. Ich habe erlebt, wie Zeitungen Rankings erstellt haben, wer die schönsten Haare und Beine hat. Da muss sich auf jeden Fall noch einiges tun. Man hat als fußballspielende Frau auch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Ein weit verbreitetes Vorurteil ist die Annahme, alle Fußballerinnen seien homosexuell.

Wie beurteilen Sie, wenn die Kapitänsbinde in Regenbogenfarben gehalten ist? Oder wenn Spieler*innen vor dem Anpfiff Transparente oder Botschaften zeigen?

Fußball kann viel verändern und hat eine große gesellschaftliche Macht. Ich finde es wichtig, Zeichen für Toleranz zu setzen, insbesondere auf der großen Bühne, die der Fußball bietet, und wegen der Vorbildfunktion der Spieler*innen. In der ­Öffentlichkeit positionieren sich die Vereine und Spieler*innen häufig gegen Rassismus und Homophobie. Dennoch sieht man beispielsweise daran, dass sich immer noch kaum Fußballer*innen öffentlich outen, dass es sich oft nur um leere Worte handelt und mehr passieren muss, als "No Homophobia" oder "No Racism" zu plakatieren. Es darf nicht bei Zeichen und Bekundungen bleiben; die Verbände und Vereine müssen handeln und sich dafür einsetzen, diskriminierende Strukturen aufzubrechen.

Während meiner Fußballkarriere habe ich zwar gespielt wie ein Profi, aber verdient wie eine Amateurin und musste mich mit Nebenjobs über Wasser halten. Außerdem geht es häufig nicht um Fußball, sondern nur um das Aussehen von Frauen. Ich habe erlebt, wie Zeitungen Rankings erstellt haben, wer die schönsten Haare und Beine hat.

Welche Rolle haben dabei die Fans?

Gerade während der letzten Europameisterschaft der Männer ist deutlich geworden, dass es keinen toleranten, weltoffenen Fußball ohne eine entsprechende Fankultur gibt. Insbesondere Spieler*innen mit Migrationshintergrund erleben immer wieder, dass sie als Held*innen ­gefeiert werden, solange sie erfolgreich sind. Aber sobald sie sich einen Fehltritt leisten, werden sie auf ihre Hautfarbe oder Herkunft reduziert. Da braucht es eine solidarische Fangemeinschaft, die sich unabhängig vom Erfolg hinter die Spieler*innen stellt.

Gibt es wesentliche Unterschiede in Bezug auf Rassismus und Homophobie zwischen Frauen- und Männerfußball?

Ein wesentlicher Unterschied ist, dass der Männerfußball auf einer größeren Bühne stattfindet und der Rassismus dort deshalb eine ganz andere Schlagkraft hat. Das wurde zum Beispiel beim vergangenen EM-Finale deutlich, als die englischen Spieler nach verschossenen Elfmetern rassistisch angefeindet wurden. Die Fehlschüsse wurden sofort auf Hautfarbe und Herkunft heruntergebrochen. Rassismus kommt auch im Frauenfußball vor, allerdings ist die Dimension anders. In Bezug auf Homophobie bestehen große Unterschiede: Dass sich kaum männliche Fußballer outen, zeigt, dass Homosexualität im Männerfußball noch ein großes Tabuthema ist.

Was fordern Sie für den Profisport und für künftige WM-Vergaben?

Ich wünsche mir, dass es nicht nur bei Zeichen für Toleranz bleibt, sondern auch strukturelle Veränderungen angestrebt werden. Dazu gehört auch mehr Druck von wirtschaftlicher Seite. Ich frage mich, warum von Sponsorenseite keine Haltung gezeigt wird. Der Fußball muss auf allen Ebenen inklusiver werden, das wird sich dann letztlich auch auf die Profistrukturen auswirken. Und vor allem: Fußball ist für die Menschen da und sollte nicht vom Geld bestimmt werden.

Patrick Loewenstein ist Biologe und freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

HINTERGRUND

Tuğba Tekkal

(37) wuchs gemeinsam mit zehn Geschwistern als Kind kurdisch-jesidischer Flüchtlinge in ­Hannover auf. Ihre Leidenschaft für den Fußball musste sie vor ihren traditionell geprägten ­Eltern lange geheim halten. Mit Hilfe ihrer ­Geschwister setzte sie sich dann aber gegen die Vorstellungen ihrer Eltern durch und ­schaffte es als Spielerin bis in die 1. Bundesliga. Sie spielte unter anderem für den Hamburger SV und den 1. FC Köln.

Scoring Girls*

Das Gefühl der Selbstbestimmung und Freiheit, das ihr der Fußball gegeben hat, will Tuğba Tekkal an junge Mädchen weitergeben. Sie hat mit ihren Schwestern die NGO Háwar.help gegründet und Scoring Girls* ins Leben gerufen. Das Fußballprojekt soll "Safe Spaces" schaffen, in denen sich jede unabhängig von Nationalität, sozioökonomischer Herkunft, Sexualität oder Glaubensrichtung selbstbewusst entfalten kann.

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