Aktuell Kultur Vereinigte Staaten von Amerika 25. April 2022

"Guantánamo bleibt ein Symbol der groben Missachtung von Völker- und Menschenrecht"

Das Bild zeigt sechs Menschen in orangenen Overalls mit schwarzen Säcken über den Köpfen. Eine Person hält ein Schild mit der Aufschrift "Close Guantanamo now!".

Amnesty-Protestaktion für die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantánamo am 8. Januar 2022 vor der Botschaft der USA in Berlin

Der Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" porträtiert den unermüdlichen Einsatz des Rechtsanwalts Bernhard Docke und Murat Kurnaz' Mutter, Rabiye Kurnaz, für dessen Freilassung. Anlässlich der Berlin Special-Preview des Films am 25.04.2022 sprach Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, das Grußwort.

"Nach einer Weile (in Haft) haben wir nicht mehr um Menschenrechte gebeten – wir wollten nur noch Tierrechte ...

Mein Käfig in Guantánamo war direkt neben einem Zwinger mit einem Schäferhund.

Der hatte eine richtige Hundehütte zum Schutz vor der sengenden Karibiksonne, mit Klimaanlage und echtem Grass.

"Ich will nur die gleichen Rechte wie er", sagte ich zu den Wächtern. Darauf erwiderten die: "Dieser Hund ist Mitglied der US-Streitkräfte."

Bereits bei meiner Ankunft im Gefangenenlager auf dem amerikanischen Marine-Stützpunkt Guantánamo auf Kuba hatte man mir erklärt: "In Guantánamo hast Du keine Rechte. Du bist Eigentum der Vereinigten Staaten von Amerika."

So erinnert sich ein mehrere Jahre in Guantánamo Inhaftierter, nach seiner Freilassung im Jahre 2005 auf einer von Amnesty International in London organisierten Guantánamo-Konferenz.

Guantánamo

Der US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba mit seinen Gefangenenlagern Camp X-Ray, Camp Delta und Camp Echo ist zu einem Synonym geworden – einem Synonym für Folter, für grausame, unmenschliche Behandlung, für Verschwindenlassen, die grobe Missachtung internationalen Völkerrechts und für schwerste systematische Menschenrechtsverletzungen.

Symbol dafür, wie nach den furchtbaren Anschlägen des 11. Septembers, die USA und ihre Verbündete im sogenannten "War on Terror" elementarste Grundsätze der Menschenrechte, des internationalen Rechts und der US-Verfassung missachteten sowie bewusst, gezielt und systematisch verletzten.

Symbol für das geheime Verhaftungs- und Verhörprogramm des US-Geheimdienstes CIA: Ein Programm, zu dem ein weltumspannendes Netz von Geheimgefängnissen – sogenannte Black Sites – und Geheimflüge (die sogenannten Renditions) gehörten; ein Programm, in dessen Rahmen hunderte Menschen willkürlich verschleppt und in den Geheimgefängnissen einer "Sonderbehandlung" unterzogen wurden – grausam behandelt und gefoltert wurden.

Am 10. Dezember 2014, dreizehn Jahre nach Eröffnung der Lager, veröffentlichte der US-Senat die Zusammenfassung eines 6.000-seitigen Untersuchungsberichts zur jahrelangen Folterpraxis der CIA nach 9/11, der dokumentiert, wie Folter und Misshandlung über Jahre systematischer Bestandteil der Verhörmethoden – auch in Guantánamo – waren.

Und der damit auch von offizieller US-Seite bestätigt, was das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die Ermittler der Vereinten Nationen, von Nichtregierungsorganisationen, des Europäischen Parlaments sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unabhängig voneinander feststellten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat bisher in sechs Verfahren fünf europäische Staaten wegen ihrer Beteiligung am geheimen Folter- und Verhörprogramm der USA verurteilt: Mazedonien, Polen, Italien, Litauen und Rumänien. Was nicht bedeutet, dass andere Länder sich nicht mitschuldig gemacht hätten und haben.

In den USA ist bis heute kein_e Vertreter_in von US-Behörden für Folter, Verschwindenlassen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die in Guantánamo und im Rahmen des CIA-Folterprogramms begangen worden sind, angeklagt oder vor ein Gericht gestellt worden.

Damit ist Guantánamo nicht nur Symbol systematischer Menschenrechtsverletzungen, sondern auch Symbol der andauernden Straflosigkeit für diese Verbrechen.

Weswegen auch heute jede Veranstaltung, jeder Film über Guantánamo wichtig bleibt.

Rund 780 Menschen, darunter mindestens zwölf zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung Minderjährige, waren in den letzten 20 Jahren in Guantánamo willkürlich inhaftiert. Neun starben in Guantánamo; die Mehrzahl der mittlerweile Freigelassenen kämpft mit gesundheitlichen Folgen der Haft, oftmals ohne ausreichende Versorgung und Behandlung. Bei 30 freigelassenen Gefangenen gibt es Hinweise, dass sie nach ihrer Überstellung in Herkunfts- oder Drittstaaten verstorben sind.

Nur in einigen wenigen Fällen gewährten Staaten Guantánamo-Gefangenen Entschädigungszahlungen – u.a. Kanada, Mazedonien, Litauen, Polen und Großbritannien.

Die USA haben bisher gegenüber Folter-Überlebenden aus Guantánamo oder dem CIA-Folterprogramm keinerlei Wiedergutmachung geleistet – obwohl die UN-Anti-Folter-Konvention unmissverständlich klarstellt: Folterüberlebende haben Anspruch auf "Wiedergutmachung". [...]

Auch deshalb bleibt Guantánamo heute ein sichtbares Symbol der groben Missachtung von Völker- und Menschenrecht – seit 20 Jahren.

Und auch deshalb bleibt jede Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, jeder Film über Guantánamo, wichtig.

Zu den ersten Menschen, die 2002 nach Guantánamo gebracht wurden, gehört der junge Bremer Murat Kurnaz.

Auf einer Pakistanreise wird er dort Anfang Dezember 2001 von pakistanischen Polizist_innen festgenommen und einige Tage später gegen ein Kopfgeld an das US-Militär übergeben. Er wird rechtswidrig in ein US-Militärgefängnis in Kandahar in Afghanistan verschleppt und zwei Monate später nach Guantánamo verbracht.

Im August 2006 kann Murat Kurnaz endlich zurück nach Deutschland; er wird dann fast fünf Jahre ohne Anklage, ohne faires Gerichtsverfahren rechtswidrig festgehalten worden sein.

Im Bericht des CIA-Sonderausschusses des Europäischen Parlaments wird zu lesen sein, die deutsche Bundesregierung habe 2002 das Angebot der Vereinigten Staaten, Kurnaz nach Deutschland ausreisen zu lassen, ausgeschlagen.

Dies sei geschehen, obwohl die Nachrichtendienste beider Staaten von seiner Unschuld überzeugt waren – er sei einfach, wie zahlreiche andere, "zur falschen Zeit am falschen Ort" gewesen.

Bis heute haben weder die US-Regierung noch die Bundesregierung sich bei Murat Kurnaz für die Menschenrechtsverletzungen, die er vor und während seiner Haft in Guantánamo erlitten hat, entschuldigt. Ebenso wenig hat er für die in der Haft erlittenen Menschenrechtsverletzungen Entschädigung erhalten.

Ein weiterer Grund, warum dieser Film wichtig ist.

Ich freue mich sehr, dass ich Sie heute Abend hier zu dieser Special-Preview im Namen von Amnesty International begrüßen kann – Danke an alle Partner_innen, die das möglich gemacht haben.

Und: Danke für diesen Film.

Nun, wenn man im Kino sitzt und Amnesty International hat mit eingeladen, lässt das in der Regel nichts Gutes ahnen.

Ich glaube, ich darf so viel verraten: Regisseur Andreas Dresen, und Drehbuchautorin Laila Stieler schonen uns. Sie ersparen uns die Reise nach Guantánamo. Sie ersparen uns Folterszenen, wie sie der Eröffnungsfilm der letztjährigen Berlinale "Der Mauretanier" aus Guantánamo visualisierte.

Sie führen uns ins beschauliche Bremen und die eigentlich beschauliche Welt der Familie Kurnaz.

Und in ein Washington, in dem man mehr Verbündete findet, als dass man mit der menschenverachtenden Grausamkeit der Verantwortlichen konfrontiert wird.

Auch wenn im Film der unaufgeregte Alexander Scheer – der den im wahren Leben mindestens so unaufgeregten und von mir hoch geschätzten – Rechtsanwalt Bernhard Docke spielt, sich leise empört, dass "seine rot-grüne Bundesregierung" die Freilassung und Heimkehr von Murat Kurnaz verhindert, obwohl dieser von den Amerikanern als "unbedenklich" erklärt wurde, selbst da, kommt dieser handfeste bundesrepublikanische Skandal auf so leisen Sohlen daher, dass man ihn fast verpassen kann.

Aber wer hinschaut und hinhört, ahnt, dass dieser Film uns erinnert, dass wir uns alle nicht schonen sollten: Dass zu weltweiten Menschenrechtsverletzungen und ihrer fehlenden Ahndung nicht nur Akteure wie Bush, Rumsfeld, nicht nur die CIA oder Guantánamo gehören, sondern auch wir alle und unser Umgang damit.

Zu diesem Film gehört die Frage: Wo waren wir alle, als der Bremer Senator Röwekamp öffentlichkeitswirksam Murat Kurnaz Aufenthaltsgenehmigung für ungültig erklärte, um seine Rückkehr zu verhindern?

Wie gehen wir damit um, dass die Generalbundesanwaltschaft Staatsfolter in Syrien und Kriegsverbrechen in der Ukraine untersucht und verfolgt – ein Vorgehen nach dem Weltrechtsprinzip, welches Amnesty unterstützt und ausdrücklich begrüßt – sich bei Ermittlungen zu Menschenrechtsverletzungen im War on Terror aber schwer tut?

Wie fühlen wir uns als Bürger einer Bundesrepublik Deutschland, deren Vertreter sich bis heute nicht bei Murat Kurnaz entschuldigt haben und ihn auch nicht im Hinblick auf offizielle Wiedergutmachung unterstützen?

Ich wünsche einen guten Filmabend und freue mich auf die spannende Diskussion mit Bernhard Docke, Laila Stieler, Konstantin von Notz und Andreas Schüller.

Vielen Dank!

 

Ein Interview mit Rechtsanwalt Bernhard Docke über den Film und den Fall Murat Kurnaz ist hier zu finden.

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